Hamburger IT-Strategietage Digital
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Recruiting von KI-Experten
“Gute Leute wollen unter guten Leuten arbeiten”
Beim KI-Talk diskutierten Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft über ihre Erfahrungen mit produktiven KI-Anwendungen.
Zum Einstieg in den KI-Talk während der Hamburger IT-Strategietage 2022 bat Moderator
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Lena Weirauch, Gründerin des KI-Startups ai-omatic solutions, nennt die Anwendung eines Startups aus der Psychotherapie. Mit Einbindung von kognitiver und klinischer Psychologie sowie NLP hat ein Startup eine App entwickelt, die täglich mit Personen spricht, die aktuell auf eine Psychotherapie warten und so die Vorstufe eines Psychotherapeuten unterstützt.
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Andreas Moring, Professor für AI, Digital Business & Innovation an der International School of Management und Stellvertretender Landesvorsitzender der FDP Hamburg. Sein aktuelles Lieblingsbeispiel kommt aus der Landwirtschaft: kleine
Roboter , die über Felder fahren, Unkraut erkennen und es mit einem Stromschlag zum Verrotten bringen. Diese Vorgehensweise basiert auf Bilderkennung und spart Pestizide. -
Katja Laurischkat, Vice President AI Business Operation bei
Bosch , berichtet unter anderem vom Financial Forecasting im Controlling. Das ist eine KI-Anwendung, die bei Bosch bereits weitflächig im Einsatz ist. -
Michael Koch, Director Data Analytics & Artificial Intelligence bei Lufthansa Industry Solutions, berichtet von wiederverwendbaren Prognose-Plattformen. Lufthansa Industry Solutions nutzt beispielsweise im Alltag Forecasts für das Volumen und Gewicht von Frachtflugzeugen sowie für die Anzahl von Mahlzeiten.
Wie lassen sich Algorithmen wiederverwenden?
Nicht alle Unternehmen können auf eine vergleichbar breite Datenbasis zurückgreifen wie etwa Bosch oder Lufthansa Industry Solutions. Genau eine solche Datenbasis und Historie benötigt man in einem Prognose-Verfahren, um die Qualität eines entwickelten Algorithmus zu bewerten. Mit Hilfe des Landwirtschaftsbeispiels erläutert dies KI-Professor Moring: Das Grundprinzip des Erkennens von Pflanzen lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen, etwa auf Bauteile. Zukünftig könnte man mit Hilfe von Low-Code an einen Punkt kommen, an dem für eine KI-Anwendung nur noch das Domänenwissen notwendig sei, also das Wissen über eine Branche oder eine Unternehmensfunktion.
Bei Bosch ist die sogenannte Robustness von KI-Anwendungen ein wichtiges Thema. Robuste Lösungen sollen auch unter Unsicherheit weiterhin eine gute Performance und zuverlässige Vorhersagen liefern. “Wir haben mit kleinen Use Cases und Piloten angefangen, einzelne Modelle robust zu machen. Sie können ohne hohen Trainingsaufwand wiederverwendet werden, das ist keine Zukunftsmusik”, sagt Laurischkat. Zudem seien robuste Modelle günstiger und energiesparender, ergänzt Moring in der Diskussion.
Michael Koch und Lena Weirauch plädieren dafür, sich mit nachhaltigen strategischen Fragen zu beschäftigen. “In Unternehmen werden oft ganz viele Proofs of Concept gestartet und es gibt viele Anfänge. Doch es ist wichtig, dann bei einem Thema zu bleiben und es so weiterzuverfolgen, dass man diese Sache als Standard nutzen kann”, sagt Weirauch. Koch nennt für die strategischen Überlegungen die folgenden vier Fragen:
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Was möchte ich mit KI überhaupt erreichen?
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Möchte ich zum Beispiel Prozesskosten optimieren oder ein neues Produkt entwickeln?
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Gibt es schon verfügbare Lösungen für mein Problem?
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Kann ich diese Lösungen nutzen oder entwickle ich eine eigene Lösung?
Die weitere Diskussion zeigt, dass natürlich auch die Unternehmensgröße einen bedeutenden Einfluss darauf hat, in welchem Umfang ein Unternehmen eigene KI-Lösungen entwickelt oder auf Vorhandenes zurückgreift. Während bei Bosch interdisziplinäre Teams in neuen Strukturen zusammen an KI-Anwendungen arbeiten, sehen Weirauch und Moring die Umsetzung in den Fachabteilungen.
“Sachwissen ist wichtiger als die technische Kompetenz”, sagt Moring. Doch er erlebt beispielsweise auch Unternehmen aus der Immobilienbranche, in denen es eine ganz andere Abteilungsstrukturen gibt, die ein branchenspezifisches Vorgehen notwendig machen.
Koch bezweifelt, ob jedes Unternehmen überhaupt interdisziplinäre Teams mit KI-Spezialisten braucht. “Der aktuelle Markt für Data Engineers und Data Scientists ist leergefegt. Wir müssen einfachere Lösungen finden”, fordert Koch. Er schlägt vor, eher auf eine
Gute Leute – woher?
Der Markt ist leergefegt – wie kommt man trotzdem an gute Mitarbeiter? Bei Bosch wurde deshalb das Bosch Center for Artificial Intelligence mit einem Research-Bereich gegründet. “Gute Leute wollen unter guten Leuten arbeiten”, sagt Laurischkat. Sie mache die Erfahrung, dass KI-Experten nicht nur theoretisch arbeiten, sondern auch einen direkten Zugang zur Anwendung möchten. Das kann Bosch als Industrie-Konzern den Mitarbeitern bieten.
Startup-Gründerin Weirauch sieht sich nicht im Nachteil: “Wir können gut mithalten”, sagt sie. Auch sie erhalte Bewerbungen von Kandidaten aus Konzernen, oft verbunden mit dem Wunsch nach Mitgestaltung, agileren Strukturen und flachen Hierarchien. Sie selbst habe es als Gründerin mit in der Hand, eine wertschätzende Atmosphäre zu schaffen, in der Mitarbeiter sich wohlfühlen, so Weirauch.
Bei Lufthansa Industry Solutions wurde das Thema AI 2014 mit einer eigenen Abteilung in den Vordergrund gehoben. “Die Mitarbeiter möchten wirklichen Impact haben und Mehrwert schaffen”, beobachtet Koch.
AI-Professor Moring macht die Erfahrung, dass das Interesse an KI mittlerweile weit über die klassischen Informatik- und Data-Science-Studiengänge hinausgeht. Es ist sinnvoll, den Radius über die klassischen Studiengänge hinaus zu erweitern. So könnten sich beispielsweise Wirtschaftsstudenten heutzutage im Studium mit Dateninhalten beschäftigen.