Auf den Hamburger IT-Strategietagen berichtet der IT-Chef, wie Otto seine IT für kommende Business-Herausforderungen fit gemacht hat.
Als Michael Müller-Wünsch 2015 Technologievorstand der Otto Group wurde, lief das Geschäft für den Händler zwar noch gut, doch verlor er Marktanteile. Die IT-Landschaft war für den Kataloghandel konzipiert und für das Online-Geschäft weiterentwickelt worden. Das Ergebnis: die Systeme waren bis zu 40 Jahr alt.
“Vergangene Architekturentscheidungen sind zu dem Zeitpunkt, an dem sie getroffen werden, meist die richtigen, aber sie passen womöglich heute und morgen nicht mehr zum Geschäft,” sagt der IT-Chef. Der Lebenszyklus der Landschaft müsse sich den Anforderungen der Konsumenten, Partnern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anpassen. Wie das bei Otto gelöst wurde, berichtete Müller-Wünsch in seiner Keynote auf den Hamburger IT-Strategietagen.
Event-gesteuert statt Big Bang
Da sich die Marktbedingungen rasch ändern, entscheid sich Müller-Wünsch, die Architektur nicht in einem “Big Bang” für die nächsten zehn oder 15 Jahre zu modernisieren. Stattdessen verfolgte er einen Event-getriebenen Ansatz: Sobald eine Veränderung auftritt, überlegt das Team um den Topmanager, ob die aktuelle Struktur noch passt. Wenn nicht, wird sie verändert.
Systeme bewertet die IT anhand von vier Fragen: Wie lange ist die die Anwendung schon in Betrieb? Gab es Lifecycle-Events, wo der Technologie-Stack modernisiert werden musste und wurde damals die Security berücksichtigt? Wie lange hält die Architektur und sind die Skills vorhanden, um die Anwendungen die kommenden sieben Jahre weiterzuentwickeln? Sind die Geschäftsprozesse immer noch so, wie das System sie abbildet?
Neue Angebote und Services
Ein Beispiel: Sein lineares Handelsmodell entwickelte Otto zu einer digitalen Plattform weiter. In diesem Ökosystem sollten sich Partner einfacher beteiligen und es mitgestalten können. Die Ziele waren, mehr Artikel im Angebot und zusätzliche Services zu bieten.
Dazu baute das Team um Müller-Wünsch den Marktplatz um. Handelspartner können dort in der Otto-Umgebung ihre eigenen Produkte verkaufen. “Zwar haben wir damit den Wettbewerb von der Straße ins eigene Wohnzimmer gelassen, aber unser Leistungs- und Produktangebot hat sich verzehnfacht,” sagt der IT-Vorstand. Um die so entstandene zehnfache Last auf die Systeme abzufangen, kombinierte die IT alte monolithische mit neuen Cloud-native-Anwendungen.
Für die Partner bietet Otto auch weitere Leistungen rund um den Shop an. Im Einrichtungssegment können Kunden etwa 3D-Modelle von Möbeln ansehen. Für Händler, die die nötigen Daten nicht generieren können, hat das Team um Müller-Wünsch einen Service entwickelt, der anhand von Fotos die geometrischen Informationen zur Verfügung stellt.
Laut Müller Wünsch habe der neue Marktplatz in rund einem Jahr eine Milliarde Euro zusätzliches Geschäft generiert.
Transparenz und Autonomie
Damit diese und andere Initiativen zu einem Gesamtbild zusammenkommen, bespricht Müller-Wünsch sich alle drei Monate mit seinen Vorstandskollegen. Sie legen die Roadmaps für die Produktteams und die Programmatik für die Kooperation zwischen IT und Geschäftseinheiten fest. “Das schafft Transparenz darüber, was uns bei der Transformation wichtig ist und hilft, die nötigen Ressourcen zu allokieren,” sagt er.
Cross-funktionale, produktorientierte Teams aus maximal zehn Personen arbeiten selbstbestimmt in virtuellen Strukturen zusammen. Sie agieren autonom und sind nach dem Prinzip “you build it, you run it” für ihre Produkte verantwortlich.
Damit ist die Transformation des Händlers aber nicht abgeschlossen. Jedes Jahr solle laut Müller-Wünsch ein neues Architekturbild erarbeitet werden, das kommenden Anforderungen genügt.